Direktor Hubertus Knabe (Jg. 1959) hat das ehemalige Stasi-Untersuchungsgefängnis in Berlin-Hohenschönhausen zur meistbesuchten Gedenkstätte, die an die Opfer der SED-Diktatur erinnert, gemacht
Direktor Hubertus Knabe (Jg. 1959) hat das ehemalige Stasi-Untersuchungsgefängnis in Berlin-Hohenschönhausen
 zur meistbesuchten Gedenkstätte, die an die Opfer der SED-Diktatur erinnert, gemacht.

"Das riecht nach feindlicher Übernahme"
Die erfolgreiche Stiftung im ehemaligen Stasi-Knast Berlin-Hohenschönhausen soll in eine große Aufarbeitungsstiftung eingegliedert werden. Direktor Hubertus Knabe wehrt sich gegen die Aktion.

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Auf den ersten Blick könnte man den Satz fast überlesen: "Wir schlagen vor, die Gedenkstätten Normannenstraße / Magdalenenstraße und Hohenschönhausen … zusammenzuführen." So heißt es im Entwurf der Empfehlungen, den jetzt die Expertenkommission für die Zukunft der Stasi-Unterlagen-Behörde abschließend beraten hat. Die ehemalige Stasi-Zentrale in Berlin-Lichtenberg und das frühere zentrale Untersuchungsgefängnis des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) sollen unter dem Dach einer neu zu gründenden "Stiftung Diktatur und Widerstand – Forum für Demokratie und Menschenrechte" zusammengeführt werden.

Was so unverdächtig daherkommt, ist in Wirklichkeit ein konzentrierter Angriff auf die kritische Aufarbeitung der DDR – und zentrales strategisches Ziel einiger Geschichtspolitiker in der SPD. Ihnen ist die Ausrichtung der Gedenkstätte Hohenschönhausen unter ihrem selbstbewussten Stiftungsdirektor Hubertus Knabe seit Langem ein Dorn im Auge. Immer wieder hat der Historiker es kritisiert, wenn sich Sozialdemokraten mit der SED-Nachfolgerpartei eingelassen haben. Anfeindungen zum Trotz hat er stets die Perspektive der Opfer in den Mittelpunkt gestellt, während andere dem Sozialismus in der DDR durchaus positive Seiten abgewinnen wollten.

"Das riecht schon sehr nach einer feindlichen Übernahme", sagt Knabe zu dem Vorschlag aus den Reihen der Kommission. Nicht nur der Name der Stiftung Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen würde verloren gehen. Auch die Unabhängigkeit der meistbesuchten Einrichtung in Deutschland, die an die Opfer der SED-Diktatur erinnert, wäre dahin. Eine unbekannte Stiftung mit einem Allerweltsnamen würde die wichtigste Einrichtung der DDR-Aufarbeitung schlucken.

Seit Jahren strömen immer mehr Menschen in das ehemalige Stasi-Gefängnis, in dem frühere Häftlinge durch Zellen und Verhörräume führen – 50.000 mussten im Jahr 2015 wegen Überfüllung abgewiesen werden. Durch die Eröffnung einer umfangreichen Dauerausstellung ist das Interesse des Publikums sogar noch gewachsen.
 

Zelle in der Untersuchungshaftanstalt der DDR-Staatssicherheit in Berlin-Hohenschönhausen.

Zelle in der Untersuchungshaftanstalt der DDR-Staatssicherheit in Berlin-Hohenschönhausen.
 

Alleine schon der Name ist irritierend

Trotzdem weigert sich der Berliner Senat, der Stiftung ein vollständig erhaltenes Gefängnis der Volkspolizei nahe dem Berliner Alexanderplatz als zweiten Standort zu übergeben. Es würde unter dem Stiftungsdirektor Knabe sicher bald ähnlich viele Besucher haben wie das Gefängnis in Hohenschönhausen. Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD), die im Nachbargebäude residiert, hat dies bislang mit Erfolg verhindert.

In dieselbe Richtung zielen die Empfehlungen der Expertenkommission. Folgt man dem Entwurf, der seit einigen Tagen in Berlin kursiert, soll der Besuchermagnet Hohenschönhausen einer unattraktiven Dachorganisation einverleibt werden. Knabe selbst wird man auf diese Weise zwar vermutlich nicht loswerden können. Aber wenn Hohenschönhausen Teil einer übergeordneten Einrichtung im Bezirk Lichtenberg werden sollte, dann dürfte die Stasi-Opfer-Gedenkstätte ihre beste Zeit hinter sich haben.

Allein schon der Name der vorgeschlagenen Institution irritiert: Stiftung Diktatur und Widerstand – Forum für Demokratie und Menschenrechte. Von Stasi oder DDR kein Wort. Unter diesem Namen könnte so gut wie alles abgehandelt werden – von den Freiheitskämpfen im 19. Jahrhundert über den Widerstand gegen den Nationalsozialismus bis hin zu den Menschenrechten sexueller Minderheiten heute.

Die Aktion könnte rot-rot im nächsten Senat erleichtern

Wird die Botschaft der bisherigen Stiftung Hohenschönhausen, dass der Sozialismus in der DDR an sich ein Verbrechen war, verwässert, dient das vor allem einer Partei: der Linken. Sie wird auf diese Weise vom Makel ihrer Vergangenheit befreit. Die Hemmungen, mit ihr auf Bundesebene eine Koalition zu bilden, dürften weiter sinken.

Seit einem Vierteljahrhundert drückt sich die Linke-Führung um eine klare Distanzierung vom Unrechtsstaat DDR. Im Innersten ist die SED-Nachfolgepartei immer noch der Ansicht, die DDR sei der bessere deutsche Staat gewesen. Für eine rot-rot-grüne Koalition ist die Stiftung Hohenschönhausen deshalb ein Störfaktor.

Möglicherweise auch für die Bildung des nächsten Berliner Senates. Nach der Abgeordnetenhauswahl im Herbst möchte Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller, das ist kein Geheimnis in der Hauptstadt, das Bündnis mit der CDU gerne aufkündigen. Dann bleibt ihm nur eine Koalition mit der Linken und mutmaßlich den Grünen. Von der Berliner SPD ist daher kein Schutz für Hohenschönhausen zu erwarten.
 

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) beim Besuch der Gedenkstätte im Jahr 2009
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) beim Besuch der Gedenkstätte im Jahr 2009
 

Auch Opfer sprechen von einem "Skandal"

Müllers Vorgänger Klaus Wowereit hatte dagegen noch anders agiert. Er hatte Knabe und seine Stiftung immer unterstützt – vielleicht aus Scham über seinen Tabubruch von 2001, als er die Linkspartei in die Regierung holte – nur zwölf Jahre nach dem Fall der Mauer –, unter der Berlin jahrzehntelang gelitten hatte.

Dass der Vorschlag der Kommission widerstandslos umgesetzt wird, ist eher unwahrscheinlich. Noch bevor deren Empfehlungen veröffentlicht worden sind, regt sich Protest – vor allem unter den Opfern der Stasi. "Hohenschönhausen steht wie kein anderer Ort für die politische Verfolgung in der DDR", sagt zum Beispiel Jörg Kürschner. Er ist Vorsitzender des Fördervereins Stiftung Berlin-Hohenschönhausen und saß – als Westdeutscher – 1980 selbst sechs Monate im Stasi-Gefängnis Hohenschönhausen und weitere anderthalb Jahre in einem anderen DDR-Gefängnis, Ende 1981 wurde er von der Bundesregierung freigekauft.

Kürschner kritisiert die Vorschläge, der Gedenkstätte Hohenschönhausen die Unabhängigkeit zu nehmen und sie damit als unbequemen Mahner auszuschalten. Der "nebulöse Stiftungsname" solle von den Verbrechen der SED ablenken. Und er nennt es einen "Skandal", dass nicht ein einziger politischer Häftling an der Abfassung der Empfehlungen mitgearbeitet hat.

Tatsächlich wäre die Bundesregierung gut beraten gewesen, die Opfer an den Beratungen über die Zukunft der Stasi-Unterlagen-Behörde zu beteiligen. Dann wäre der Expertenkommission sicher nicht der peinliche Fehler unterlaufen, Opfer und Täter institutionell in denselben Topf zu werfen.

Das einstige Stasi-Gefängnis in Hohenschönhausen faktisch der früheren Stasi-Zentrale anzugliedern, ist ungefähr so, als würde man die deutschen KZ-Gedenkstätten der Stiftung Topographie des Terrors auf dem Gelände der einstigen Gestapo-Zentrale unterstellen. Die Opfer der DDR-Geheimpolizei müssen sich durch einen solchen Vorschlag regelrecht verhöhnt vorkommen. Die Abgeordneten des Bundestages werden noch viel Zeit aufwenden müssen, die zweifelhaften Vorschläge einer parteipolitisch zusammengesetzten "Expertenkommission" wieder einzufangen.
 

Quelle:
Die Welt - Politik Geschichte - 01.04.2016,

www.welt.de/geschichte/article153888974/Das-riecht-nach-feindlicher-Uebernahme.html

 


Knabe pariert Attacken
Stasi-Gedenkstättenleiter weist »Tagesspiegel«-Bericht zurück

Seit Hubertus Knabe, der Leiter der Stasiopfer-Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen, die von der Linkspartei initiierte Berufung des mittlerweile unter öffentlichem Druck zurückgetretenen Ex-Stasimitarbeiters Andrej Holm  zum Berliner Baustaatssekretär als „Tabubruch“ und „Verhöhnung der DDR-Opfer“ anprangerte, steht er in der Kritik der Linken. In dieses Kreuzfeuer stimmt nun auch ein Teil der Hauptstadtpresse ein, darunter der linksliberale „Tagesspiegel“. Dieser wirft Knabe vor, er habe durch die Weitergabe von Unterlagen zur Stasi-Vergangenheit Holms womöglich gegen das Stasi-Unterlagengesetz verstoßen. Dieses sehe die Herausgabe von Unterlagen an Medien nämlich nur in sehr engen Grenzen vor. Grund dafür sei der strenge Datenschutz angesichts der sensiblen persönlichkeitsbezogenen Informationen. Als Anstalt des öffentlichen Rechts sei die Stiftung, die das Erbe des zentralen Stasi-Untersuchungsgefängnisses verwaltet, und damit auch Knabe, an das Stasi-Unterlagengesetz gebunden.

Knabe wehrt sich gegen den Vorwurf, er habe Holms Stasi-Kader-Akte an Journalisten verteilt. Richtig sei, dass er lediglich einen Internetlink, der ihm in seinem Urlaub unaufgefordert zugegangen war, privat an zwei befreundete Journalisten weitergeleitet habe. Dieser Link habe zu Unterlagen geführt, die belegten, dass Holm hauptamtlicher Mitarbeiter des DDR-Staatssicherheitsdienstes gewesen sei.

Auch weist Knabe die Behauptung, er habe gegen das Stasi-Unterlagengesetz verstoßen, als falsch zurück. Tatsache sei, dass dem Gesetz zufolge Unterlagen über ehemalige Stasi-Mitarbeiter frei veröffentlicht werden dürften. Eine Genehmigung sei nicht erforderlich. Vielmehr sei die Veröffentlichung von Unterlagen über ehemalige Stasi-Mitarbeiter vom Gesetzgeber ausdrücklich gewünscht worden. 

Knabe wirft seinen Gegnern vor, ihr Versuch, die öffentliche Debatte über die Stasi-Tätigkeit Holms durch wahrheitswidrige Beschuldigungen zu beeinflussen, sei „von Unkenntnis der Gesetzeslage“ geprägt.     J.H. 
 

Quelle:
Preußische Allgemeine Zeitung Ausgabe 05/17 vom 03.02.2017