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Bei dieser Frau täuschte sich Friedrich II. Das Schloss Mirow in Mecklenburg-Vorpommern ist in großer Pracht wiederauferstanden: Seine früheren Besitzer hatte Friedrich II. als "Mirokesen" verspottet – und war eines Besseren belehrt worden. Fast 150 Jahre schlummerte er im Vergessen. Jetzt ist "Dörchläuchting" wiederauferstanden. Denn Schloss Mirow, das diese Romanfigur des großen plattdeutschen Schriftstellers Fritz Reuter bewohnte, ist selbst aus dem Vergessen erwacht. Seit Pfingsten prunkt es nach jahrelanger, aufwendiger Restaurierung wieder mit seinen grellweißen Fassaden auf seiner eigenen Insel inmitten der Mecklenburgischen Seenplatte. Und damit, so wispern die Schlossgeister, geht auch der gewitterscheue Dörchläuchting wieder um – eine Bestsellerfigur des 19. Jahrhunderts, die berühmter wurde als sein von Reuter karikiertes historisches Vorbild, Herzog Adolf Friedrich IV. von Mecklenburg-Strelitz (1738-1794). Reuter machte Dörchläuchting zum Gespött der Diener- und Leserschaft. Den von neurotischer Angst vor Blitz und Donner Geplagten lässt er einen metallfreien Pavillon aus Glas und Seide bauen, der zusätzlich auf Flaschenhälsen steht. Darin verbringt der furchtsame Herr angekleidet "as en schönen Karnalljenvagel" die Gewitter.
Unfürstliche Beobachtungen über die "Mirokesen" Doch die tausendfach belachte Geschichte hatte sogar einen wahren Kern. Denn der in Physik gebildete Fürst ist tatsächlich als einer der ersten Deutschen darangegangen, seine Wohnsitze mit Blitzableitern auszustatten. Es scheint das Schicksal des Geschlechtes derer von Mecklenburg-Strelitz zu sein: Sie boten Stoff für Hohn und Spott, und waren doch – wie die Chroniken wissen – ganz seriöse, friedliebende und, wie sich Adelsherren empörten, gar "unpolitische" Leute. War es das, was schon den jungen Thronerben Preußens, der später Friedrich der Große hieß, zu Späßen auf Kosten der Nachbarn im Norden verleitete, die er "Mirokesen" nannte und die ihm als schlicht, ungebildet und komisch wie ein zurückgebliebener Eingeborenenstamm erschienen? Dass eine aus diesem Geschlecht, Luise, einmal Königin von Preußen und Mutter eines deutschen Kaisers werden würde, das hat der Alte Fritz jedenfalls nicht vorausgesehen. Vielmehr trug auch er schon ein Jahrhundert vor Reuter höchst unfürstliche Beobachtungen über die "Mirokesen" zusammen, besonders über den Prinzen Carl Ludwig Friedrich I. (1708-1752), den zu verulken er sich schon als junger Thronerbe keine Gelegenheit entgehen ließ. Dass Carl sich "recht sehr besoffen hatte", war dabei nur eine der harmlosesten Anekdoten.
Der Aufstieg der Mirokesin Prinzessin Charlotte Dass er ihn samt Mutter, Tante und Frau "tanzen bis zur Grenze der menschlichen Leistungsfähigkeit" ließ, grenzte schon fast an Verhöhnung. Dann wieder notierte er schadenfroh, dass der stolze Herr am Preußenhof dermaßen aufgezogen worden sei, "dass wir alle gedacht todt vor Lachen zu bleiben". Ein drittes Mal setzte er ihn mutwillig dem Regen aus, "um ihm den Rock zu verderben". "Denn wahrhaftig", so Friedrich in dem Sarkasmus, für den er berühmt war, "diese guten Leute besitzen keine anderen Reichtümer als ihren Titel, ihr Wappen und den Stammbaum eines sehr alten Hauses." Da sollte er sich mächtig täuschen. Noch zu Leb- und Regierungszeiten wurde er Zeuge, dass Prinzessin Charlotte, als "echte" Mirokesin selbst auf Schloss Mirow geboren, 1761 Königin von Großbritannien wurde.
König Georg entschloss sich, sich "festzulegen" Dabei hatte ein Spion im Auftrag von Georg III., dem Bräutigam, zuvor erkundet, dass die junge Dame zwar "eine ziemlich liebenswerte Person", aber reichlich unbedarft war: "Ihre Ausbildung ist völlig zu vernachlässigen. Ihr Geist ist einfach und ohne Eskapaden. Sie hat ein gutes Herz … Ihr Wesen ist obwohl sanft nicht gleichgültig. Sie ist großzügig und hat keine Ahnung vom Wert des Geldes." Außerdem berichtete der Spion: "Sie ist schüchtern in der Fremde, aber sie spricht sehr viel, wenn sie von Menschen umgeben ist, die sie kennt. Sie spricht ein schlechtes Französisch, aber immerhin sie spricht es. Ihre Haltung hat nichts Majestätisches, aber das ist nicht der springende Punkt. Sie ist kein bisschen belesen, sie hat überhaupt keine Kenntnisse, und sie wurde ohne jeden Prunk erzogen, in der Einfachheit eines kleinen Hofes. Sie hat überhaupt keine Vorstellung von Politik und keine Idee von Intrigen oder den Interessen der Fürsten." Anders als wohl der Preußenkönig sah der 22-jährige Georg auf dem britischen Thron, ein Spross aus dem Hause Hannover, in solchen Eigenschaften nichts Belächelnswertes: "Es ist nicht in allen Einzelheiten das, was ich mir wünsche, aber dennoch bin ich entschlossen, mich hier festzulegen", vertraute er reichlich nüchtern seinen Aufzeichnungen an.
Mirokesin Charlotte wurde zur "Queen of Botany" Und vermutlich sind es gerade der Liebreiz, die unkonventionelle Natürlichkeit, Anmut und Direktheit der jungen Damen von Mecklenburg-Strelitz gewesen, die sie bis weit ins 19. Jahrhundert hinein zu den begehrtesten Fürstentöchtern Deutschlands machten. Königin Luises leichtlebige Schwester Friederike ehelichte in dritter Ehe den König von Hannover, ihre Tochter Charlotte wurde als Alexandra Fjodorowna Zarin von Russland. Luise erreichte in Deutschland als eine wahre "Königin der Herzen" eine Popularität, wie es sie in der langen Geschichte der Dynastien noch kaum gegeben hatte. "Mehr sein als scheinen" – war es eine der unausgesprochenen Losungen und Erfolgsgarantien der "Mirokesen"? Auch schon Georgs III. vermeintlich völlig ungebildete Gemahlin Charlotte hatte als englische Königin mit ihrer Naturliebe und Förderung der berühmten botanischen Sammlungen von Kew Gardens ungeahnte Neigungen und Fähigkeiten bewiesen, die ihr den Beinamen "Queen of Botany" einbringen sollten. Dass die zu ihrer Zeit entdeckte Pflanzenart der Strelitzia reginae ihr zu Ehren nach Charlottes Herkunftsland Mecklenburg-Strelitz benannt wurde, bewahrt das Andenken der ungewöhnlichen Frau bis heute.
Kulturdenkmal mit großer gestalterischer Pracht Auch was die Ausstattung des äußerlich eher anspruchslosen Schlosses Mirow betrifft, enthüllt sein Inneres den Besuchern einen ungeahnten Reichtum an gestalterischer Pracht. Für die Finanzministerin von Mecklenburg-Vorpommern, Heike Polzin, ist es nach der Wiedergeburt "eines unserer bedeutendsten Kulturdenkmale". Zweihundert Experten aus ganz Europa (und ein Finanzzuschuss der EU) wurden aufgeboten, um den prachtvollen Festsaal und die berühmten friderizianischen Rokokodekorationen wieder zum Erstrahlen zu bringen. Dass das Schloss nach 1918 in das Eigentum des "Freistaates Mecklenburg-Strelitz" überging, dass im Zweiten Weltkrieg die Luftwaffe einzog, dann ein Kornspeicher und zuletzt ein Feierabendheim der DDR – das alles hatte dem Bauwerk Narben und Schrunden zugefügt. Seit Ende der 70er-Jahre schien es endgültig dem Verfall preisgegeben. Erst jetzt, nach der Sanierung, die für Kunsthistoriker fast einem Wunder gleichkommt, lässt sich ermessen, welches Kulturdenkmal hier fast für immer verloren gegangen wäre.
Mit einem großen, rauschenden Fest der demokratisierten Landeskinder ist Mirow zu Pfingsten wieder eröffnet worden. Am 17. August werden erstmals die Festspiele Mecklenburg-Vorpommern von Schloss und Liebesinsel Besitz ergreifen – und so geht es weiter das ganze Jahr hindurch. Die neuen Schlossherren, die Bürger, lassen bitten. Und wie zu den Zeiten des großen Friedrich ergeht auch an die benachbarten Preußen die Einladung: Es darf mitgetanzt und mitgefeiert werden – "bis an die Grenzen der menschlichen Leistungsfähigkeit".
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