Bescherte der CDU ein historisches Debakel: Kanzlerin Angela Merkel am Abend der Bundestagswahl. - Bild: Imago |
Der Triumph der AfD hat den Parteienstaat ins
Rutschen gebracht. Doch welche Regierung nun folgen soll, erscheint völlig
offen.
Nie seit den 1950er Jahren ist die bundesdeutsche Parteienlandschaft gründlicher
durchgeschüttelt worden. Nie seit jener frühen Zeit war es nach einer
Bundestagswahl unsicherer, wie es nun weitergehen würde. Der furiose
Aufstieg der AfD zur drittstärksten Kraft hat
das Land derart verändert, dass der Kommentator der „Zeit“ im ersten Schock gar
das „Ende der Bundesrepublik“ gekommen sah.
Die Bundesrepublik wird dieses Ergebnis überstehen. Ja, es sieht danach aus, dass sogar die Ära Merkel weitergeht trotz des Wahldebakels. Die SPD hat sich in die Opposition geflüchtet, um dort zu genesen. Jüngere Führungskräfte wie Andrea Nahles sehen den Absturz der Sozialdemokraten gar als Chance, um nun selbst groß herauszukommen. Ob die Genesung gelingt? Unsicher.
Die Zukunft der CDU stellt sich noch düsterer dar. Parteichefin Merkel nahm das Fiasko ihrer Union mit einer Beiläufigkeit zur Kenntnis, die Böses ahnen lässt. Solange die schwindende Restsubstanz der einst stolzen CDU noch reicht, um ihr eine weitere Kanzlerschaft zu sichern, soll es ihr recht sein, so das augenscheinliche Kalkül von Merkel.
Sie ordnet das Schicksal ihrer Partei komplett der eigenen Machtversessenheit unter und verschleißt die CDU für ihre eigenen Ambitionen. Ihr Umgang mit denen, die sie auf den Schild gehoben haben, ist von berechnender Skrupellosigkeit gekennzeichnet.
Wenn es der CDU nicht gelingt, sich von dieser Chefin zu befreien, droht der Partei das Schlimmste. Doch ist derzeit kein Christdemokrat mit dem Format in Sicht, um Merkel herauszufordern. So nimmt die Tragödie ihren Lauf.
Die AfD kann nur noch an sich selbst scheitern, an innerer Zerrissenheit und leichtfertigen Eskapaden. Der Auszug von Frauke Petry lässt ahnen, dass hier noch einiges ins Haus steht. Die Partei muss schnell erwachsen werden. Die Kanzlerin wird eine schwarz-gelb-grüne „Jamaika“-Koalition anstreben, sofern sich die niedergeknüppelte SPD nicht doch noch erweichen lässt, wonach es nicht aussieht.
Viele Beobachter halten „Jamaika“ allein deshalb für ausgemacht, weil rechnerisch gar nichts anderes ginge. Aber ist dieses Bündnis nur deshalb schon realistisch? Wenig spricht dafür (siehe Kommentar).
Aber wenn nun gar nichts funktioniert? Dann
blieben Neuwahlen der einzige Ausweg. Kanzlerin Merkel wird in diesem Falle auf
die Abneigung der Deutschen gegen „unsichere Verhältnisse“ setzen und hoffen,
dass mit der (einmaligen?) Stimmabgabe für die AfD der Dampf der zornigen Wähler
entwichen ist und viele zurückkehren. Die CDU wird ihr abermals folgen, mit im
Gepäck all die Lasten, mit welchen Merkel so viele frühere CDU-Wähler von ihrer
einstigen Partei entfremdet hat.
Karibischer Unfug
Nur einmal blickte die Bundeskanzlerin wirklich finster in die „Elefantenrunde“ nach der Bundestagswahl. Nämlich, als FDP-Chef Christian Lindner fest versprach, dass es mit seiner Partei niemals ein eigenes Budget für die Euro-Zone geben werde. Der französische Präsident Emmanuel Macron hatte angekündigt, einen solchen Etat vorschlagen zu wollen, der „mehrere Prozent des Bruttoinlandsprodukts“ eines jeden Einzelstaats umfassen solle.
Merkel hat den Pariser Plan bereits begrüßt. Der deutsche Beitrag würde „mindestens 60 Milliarden Euro jährlich“ umfassen, rechnete Lindner der Runde vor, und erteilte dem Vorhaben eine kategorische Absage.
Es ist nicht der einzige Punkt, an dem ein „Jamaika“-Bündnis aus Union, FDP und Grünen scheitern dürfte. In der Zuwanderungs- und Asylfrage sind die Liberalen (zumindest verbal) in Richtung AfD gerückt. Und der FDP-Chef ist gut beraten, hart zu bleiben, denn Lindner weiß: Wenn sich die Freidemokraten noch einmal von der Merkel-Union derart über den Tisch ziehen lassen wie 2009 bis 2013, dann ist die letzte Chance der Liberalen vertan. Die Wähler der FDP, das zeigen Untersuchungen, sind überdies von allen Unterstützern etablierter Parteien den Positionen der AfD am nächsten. Sie könnten überlaufen.
Auch für die CSU birgt „Jamaika“ existenzielle Risiken. Lange war die AfD in Bayern besonders schwach, weil die CSU in Fragen von Zuwanderung, Asyl oder innerer Sicherheit als ebenfalls konservativ wahrgenommen wurde. Nachdem aus den Drohungen, die Gemeinschaft mit der CDU zu verlassen oder in Karlsruhe gegen Merkels Grenzpolitik zu klagen, nichts wurde, als die „Obergrenze“ nur noch als Lippenbekenntnis erschien, kehrte sich die Lage um.
Nunmehr haben die „Blauen“ in Horst Seehofers Heimat das beste westdeutsche Resultat eingefahren. Die Christsozialen sind dagegen stärker eingebrochen als CDU oder SPD. Der CSU-Chef weiß jetzt, dass er seinen Worten Taten folgen lassen muss, wenn er die verlorenen Wähler bis zur bayerischen Landtagswahl in einem Jahr zurückgewinnen will.
Die Grünen wären gewiss die bequemsten Partner für Angela Merkel, abgesehen von deren eigener CDU, die kaum noch sichtbares Profil zeigt. Als linker Flügel eines möglichen „Jamaika“-Pakts stünden die Grünen aber bei Asyl und Zuwanderung quer zu dem, was CSU und FDP um ihrer eigenen Zukunft willen unbedingt liefern müssten.
Fazit: „Jamaika“ ist eine bloß rechnerische
Aussicht, ein Traum weit nach links gewendeter CDU-Politiker oder von Grünen,
die in erster Linie nach einem Ministerposten schielen. Eine haltbare Regierung
lässt sich aus diesen Farben nicht zimmern, dafür sind die Kontraste zu scharf.