Nach dem Abwurf und der Zündung der Bombe: Atompilz über Hiroshima
Nach dem Abwurf und der Zündung der Bombe: Atompilz über Hiroshima

Von Menschenhand angerichtete Apokalypse
Vor 70 Jahren warfen die Vereinigten Staaten von Amerika die Atombombe auf Hiroshima

Sie nannten sie „Little Boy“. Der Name war an Zynismus nicht zu übertreffen. Das „Baby“ der Forschergruppe um den Physiker J. Robert Oppenheimer in Los Alamos (New Mexico) war die furchtbarste Waffe, die Menschen je erfanden. Am 6. August 1945 warf ein US-amerikanischer Bomber die mit Plutonium-35 gefüllte Atombombe über Hiroshima ab.

Der „Kleine Junge“ explodierte in 600 Metern Höhe in einem gigantischen Feuerball. Drei Tage später traf eine zweite Atombombe – „Fat Man“ – Nagasaki. In beiden Städten starben schätzungsweise 230.000 Bewohner sofort oder in den Wochen und Jahren danach an den Folgen der Verstrahlung. Frauen brachten verkrüppelte Kinder zur Welt. Hiroshima ist seitdem ein Synonym für die Apokalypse, angerichtet von Menschenhand.

Pathetisch verkündete US-Präsident Harry S. Truman der ahnungslosen Welt am Tag danach den Abwurf der ersten Atombombe: „Die Kraft, aus der die Sonne ihre Macht bezieht, ist auf diejenigen losgelassen worden, die dem Fernen Osten den Krieg brachten.“ Die Bomben bewirkten, was die US-Amerikaner mit ihnen bezweckten. Drei Monate, nachdem Deutschland kapituliert hatte, ergab sich auch das japanische Kaiserreich. Der Zweite Weltkrieg war beendet.

Der „Vater der Atombombe“ genannte J. Robert Oppenheimer war entsetzt über die Folgen seiner Forschung. Er weigerte sich, an der Entwicklung der Wasserstoffbombe mitzuarbeiten, und wandte sich gegen das atomare Wettrüsten der USA und der UdSSR im Kalten Krieg. Der asketisch wirkende, zum Mystizismus neigende Mann war deutsch-jüdischer Abstammung. Seine Familie lebte in New York, wo er am 22. April 1904 geboren wurde. Er studierte in Harvard, Cambridge und in Göttingen bei dem Nobelpreisträger für Physik Max Born. 1942 erhielt er von der US-amerikanischen Regierung den Auftrag, der ihn vom Wissenschaftler zum „Zerstörer der Welten“ werden ließ. So bezeichnete er sich später in Anlehnung an die heilige Schrift der Hindus, Bhagavad Gita, in einem Interview.

Meldungen des Geheimdienstes hatten die US-Regierung im Vorfeld des Zweiten Weltkriegs aufs Höchste alarmiert. Eine Forschergruppe um Werner Heisenberg experimentiere in Deutschland an der Entwicklung einer Nuklearwaffe und sei bereits weit fortgeschritten. Zutrauen konnte man es den Deutschen. Dem Chemiker Otto Hahn war 1938 am Berliner Kaiser-Wilhelm-Institut die erste Kernspaltung gelungen, die Grundlage für den Bau einer Atombombe. Tatsächlich standen die Wissenschaftler um Heisenberg noch am Anfang. Aber auch der in die USA emigrierte Albert Einstein glaubte an den Erfolg seiner deutschen Kollegen. In einem Brief vom 2. August 1939 warnte er Präsident Franklin D. Roosevelt. Als sich die Gerüchte um eine Atombombe der Nationalsozialisten immer mehr verdichteten, gab Roosevelt den Startschuss für das „Manhattan Projekt“.

Unter strengster Geheimhaltung errichteten die US-Amerikaner mitten in der Wüste das Los Alamos National Laboratory. Ein Team aus US-amerikanischen, kanadischen und britischen Forschern unter der Leitung von Oppenheimer sollte den Deutschen zuvorkommen. Am 16. Juli 1945 wurde die Plutonium-Testbombe in Alamogordo auf einem 30,5 Meter hohen Turm aus Stahl gezündet. Die Druckwelle breitete sich über eine Entfernung von 160 Kilometern aus. Die Bombe trug den Namen „Little Gadget“, zu Deutsch etwa kleines Spielgerät.

Die Atombombe sollte Deutschland treffen, doch sie wurde erst nach der Kapitulation der Wehrmacht am 8. Mai 1945 einsatzbereit. Die Japaner kämpften weiter den „Großen Ostasiatischen Krieg“. Der Nachfolger von Präsident Roosevelt, Harry S. Truman, sah in der neuen Superbombe das Mittel zur schnellen Beendigung des Kriegs im pazifischen Raum.

Die US-Amerikaner wählten Hiroshima aus, weil dort die Führung der 2. Japanischen Hauptarmee stationiert war. Die meisten der 225.000 Bewohner waren aber Zivilisten. In Nagasaki befanden sich die Mitsubishi-Rüstungsbetriebe. Der Befehl zum Abwurf der Atombomben kam aus dem Land, das sie ursprünglich hatten verwüsten sollen, aus „Haus Erlenkamp“ am idyllischen Griebnitzsee in Potsdam. Dort wohnte die US-Delegation während der Potsdamer Konferenz. Unterdessen waren „Little Boy“ und die zweite, für Nagasaki bestimmte Bombe auf die Südseeinsel Tinian transportiert worden. Zwei Tage vor dem geplanten Einsatz, am 4. August, erhielt Pilot Paul Tibbets den Auftrag, nach Hiroshima zu fliegen. Er nannte sein Flugzeug „Enola Gay“, so hieß seine Mutter. Ein Geistlicher segnete die Maschine und ihre Besatzung: „Allmächtiger Vater, wir bitten Dich, denen beizustehen, die sich in die Höhen Deines Himmels wagen und den Kampf bis zu unseren Feinden vortragen.“

Um 8.16 Uhr Ortszeit in Hiroshima stieg der Atompilz 13 Kilometer in die Höhen des Himmels, 20 Minuten später sank sein radioaktiver Niederschlag auf die Erde. Abertausende Menschen verglühten, ihre Schatten brannten sich auf den wenigen noch stehen gebliebenen Häuserwänden ein. Das Gleiche geschah drei Tage später in Nagasaki. Die Überlebenden leiden bis heute an Krebs, Leukämie und psychischen Krankheiten. Man nennt sie in Japan Hibakusha. Sie werden häufig diskriminiert aus Furcht, die Schäden durch die Radioaktivität könnten vererbbar sein. Der Friedenspark am Fluss Aioi in Hiroshima erinnert an den Atombombenabwurf. Alljährlich finden am 6. August hier und in aller Welt Gedenkfeiern statt.

Der „Vater der Atombombe“, J. Robert Oppenheimer, arbeitete nach Kriegsende als Berater der US-Atombehörde. Als Gegner des atomaren Wettrüstens machte er sich viele Feinde. In der McCarthy-Ära wurde er als Sympathisant der Kommunisten vom FBI überwacht und verlor sein Amt. John F. Kennedy veranlasste 1963 seine Rehabilitierung. Oppenheimer starb am 18. Februar 1967 an Kehlkopfkrebs. - Klaus J. Groth
 

Quelle:
Preußische Allgemeine Zeitung / Das Ostpreußenblatt, Ausgabe 31/15, 01.08.2015