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    | Vorstandspodium 
    des BdV im Jahr 1959 (Bild: Christiane Zschetzschingck dpa) 
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    Vertriebenenpolitiker mit NS-Vorgeschichte | 
    
    
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    Michael 
    Schwartz: "Funktionäre mit Vergangenheit", Oldenbourg VerlagRezensiert von Mathias 
    Beer
 |  Mitläufer, Schreibtischtäter, überzeugte 
Nazis: Im Gründungspräsidium des Bundes der Vertriebenen saßen mehrere 
Mitglieder mit brauner Vergangenheit. Ihr politisches und militärisches 
Verhalten während der NS-Zeit untersucht der Zeithistoriker Michael Schwartz nun 
in einer kenntnisreichen Studie. Sie haben in der Bundesrepublik Karriere gemacht. 
Unter ihnen befanden sich ein Bundesminister, mehrere Landesminister und 
Staatssekretäre. Sie gehörten somit der politischen Elite Westdeutschlands an. 
Neun von ihnen sind mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet worden. 
 Doch nicht auf die bundesrepublikanische Karriere ihrer Biografie, zielt die 
Studie des Zeithistorikers Michael Schwartz. Die Vergangenheit, die hier 
interessiert, ist jene vor 1945 - in der NS-Zeit und während des Zweiten 
Weltkriegs.
 
 Die "Vorgeschichte" einiger Mitglieder des Gründungspräsidiums des Bundes der 
Vertriebenen war bereits um 1960 von der DDR ausgeleuchtet und öffentlich 
anklagend gegen die Bundesrepublik instrumentalisiert worden. In der Folge 
musste zum Beispiel Hans Krüger als Bundesvertriebenenminister zurücktreten. 
Darüber hinaus aber wurden Vorwürfe aus Ostberlin stets als Verleumdungen 
abgetan, die jedoch - wie man heute weiß - einen wahren Kern hatten.
 
 Fragen waren immer wieder gestellt worden, aber erst 2006 stieß ein Artikel über 
"Unbequeme Wahrheiten" auf erhöhte Sensibilität, sicher auch weil gerade 
intensiv über ein "Zentrum gegen Vertreibungen" diskutiert wurde. Erika 
Steinbach, die Präsidentin des BdV, nahm das zum Anlass, das Institut für 
Zeitgeschichte in München zu beauftragen, dazu ein Forschungsprojekt 
durchzuführen.
 13 individuelle BiografienEs entstand eine Bestandsaufnahme von 800 Seiten, 
die nun in einer gekürzten Fassung vorliegt. Dass es sich um ein Gutachten 
handelt, ist wichtig hervorgehoben zu werden. Es schlägt sich in der Struktur, 
der Argumentation und im Duktus nieder. Kenntnisreich und auf einer breiten 
Quellengrundlage trägt es dazu bei, die Debatte um die nationalsozialistische 
Vergangenheit der 13 Vertriebenenpolitiker zu verwissenschaftlichen. Das tut das 
Buch, so Michael Schwartz:
 "Einerseits durch die systematische, methodisch 
nachvollziehbare Aufarbeitung gesicherter Fakten, soweit sie rekonstruierbar und 
innerhalb eines vertretbaren Zeitrahmens erreichbar- und auswertbar waren. 
Andererseits durch die Kontextualisierung der individuellen Biographien der 
dreizehn Angehörigen des ersten BdV-Präsidiums, das heißt durch die Einbettung 
der hier zur Debatte stehenden Personen in deren jeweiligen politischen und 
gesellschaftlichen Handlungskontext, der bislang häufig nicht beachtet worden 
ist."
 
 Die Lebensläufe aus Ostpreußen, Böhmen, Schlesien, Danzig, Pommern und der 
Batschka werden Altersgruppen und Generationen, sozialen Schichten, 
Bildungsgängen und Berufsfeldern zugeordnet. Das kann nicht darüber 
hinwegtäuschen, dass die Personen kaum mehr verband, als dass sie dem ersten 
Präsidium des Bundes der Vertriebenen angehörten.
 
 Akribisch und mit großem Aufwand wird ihr politisches und militärisches 
Verhalten untersucht - jeweils getrennt für die Zeit bis 1933, sowie von 1933 
bis 1939 und schließlich während des Zweiten Weltkriegs. Leider werden dadurch 
die Biografien zerstückelt und vieles wiederholt.
 
 Unterschiedliche Grade der NS-Verstrickung
 Die Gruppe war heterogen und bot ein breites 
Spektrum an Einstellungen. Es reicht von überzeugten Nationalsozialisten, die 
als "Schreibtischtäter" oder als Angehörige der Wehrmacht und der Waffen-SS im 
Kriegseinsatz waren, bis hin zu ausgesprochenen Gegnern des Nationalsozialismus.
 Beide Extreme sind quantitativ etwa gleich verteilt. Dazwischen weisen die 
Biografien unterschiedliche Grade an Verstrickung auf. Es dominiert die 
Generation, welche um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert geboren wurde:
 
 "Zu jung zur Kriegsteilnahme am Ersten Weltkrieg […], 
die jedoch die Nachkriegs- bzw. Zwischenkriegszeit bewusst miterlebt und auch 
mitzugestalten begonnen hatte. Zum Zeitpunkt ihrer Konfrontation mit dem 
Nationalsozialismus als Herrschaftssystem […] stand diese Generation bereits 
ausgebildet im Berufsleben und schickte sich an, zur maßgeblichen aktiven 
Generation ihrer jeweiligen Gesellschaft zu werden. Anders als in den 
politischen Spitzenämtern der Bundesrepublik ab 1949 […], repräsentierte die 
BdV-Führung altersmäßig eher die 'Trägergeneration' des 'Dritten Reiches' - ob 
diese Generation dieses Regime nun bejaht hatte oder nicht."
 
 Ausdruck der abwägenden Analyse ist es, dass nicht allein nach der formellen 
Belastung einer Person, also nach der Mitgliedschaft in der NSDAP oder sonstigen 
NS-Organisationen gefragt wird. Das wäre irreführend, wie der Autor ausdrücklich 
vermerkt. Auf diese Weise lassen sich Vorwürfe entkräften. Zugleich aber werden 
angeblich weiße Tauben als braune bis dunkelbraune Falken entlarvt.
 
 Als schwer belastet stuft das Gutachten drei Mitglieder des Gründungspräsidiums 
ein, als möglicherweise schwer belastet zwei, als in geringem Maß NS-belastet 
vier und als lediglich gering belastet drei. Nur zwei der untersuchten 13 
Lebensläufe werden als vollkommen unbelastet qualifiziert.
 
 Ein unentbehrliches Nachschlagewerk
 Trotz der augenscheinlichen hohen Anzahl warnt 
das Gutachten zu Recht vor vorschnellen Schlüssen. Funktionäre mit einer 
NS-Vergangenheit sind in allen Institutionen der frühen Bundesrepublik zu 
finden. Vergleichswerte, welche die erste Führungsschicht des Bundes der 
Vertriebenen einordnen könnte, gibt es jedoch kaum.
 Differenziert und ausgewogen durchleuchtet Michael Schwarz deren dunkle, 
nationalsozialistische Vergangenheit. Für diesen Abschnitt ihrer Biografien ist 
seine Studie ein unentbehrliches Nachschlagewerk, ein Kompendium.
 
 Bedauerlicherweise gibt sie keine Auskunft darüber, wie aus NS-Belasteten die 
politische Elite der Bundesrepublik wurde, wie eine NS-Volksgemeinschaft sich zu 
einem freiheitlich-demokratisch verfassten Gemeinwesen wandelte. Denn solche 
Fragen gehörten nicht zum Forschungsauftrag.
 
 Das verdienstvolle Gutachten bietet aber eine zuverlässige, nicht zu 
überschätzende Grundlage, um die wissenschaftliche Arbeit fortzusetzen, zu 
erfahren, wie Prägungen der NS-Zeit das bundesrepublikanische Staatsgefüge 
beeinflussten. Es reiht sich damit ein in einschlägige Studien über das 
Auswärtige Amt und den hessischen Landtag oder über das Bundesjustizministerium 
und den Bundesnachrichtendienst.
 
 Die beiden letzteren sind noch nicht abgeschlossen. Weitere werden folgen, denn 
der Einfluss des Nationalsozialismus auf die bundesdeutsche Gesellschaft bleibt 
auch nach 60 Jahren ein zentraler Forschungskomplex deutscher 
Geschichtsschreibung.
 
 Michael Schwartz: Funktionäre mit Vergangenheit Das 
Gründungspräsidium der Vertriebenen und das "Dritte Reich", Oldenbourg Verlag 
München, 2012, 594 Seiten, 69,80 Euro
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