Berlin: Bau des Vertreibungszentrums beginnt
Kanzlerin Merkel hat in Berlin die Bauarbeiten für das Dokumentationszentrum über die millionenfachen Vertreibungen im 20. Jahrhundert gestartet. Es soll dazu beitragen, Flucht und Vertreibung in einem historischen Kontext darzustellen.
Nach jahrelangen, teils heftigen Debatten wird nun in Berlin die Gedenkstätte für die Vertreibung von Millionen Menschen im Europa des 20. Jahrhunderts gebaut. Die Dauerausstellung solle dazu beitragen, Flucht und Vertreibung im historischen Zusammenhang zu verstehen, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am Dienstag zum Beginn der Bauarbeiten.
Das Zentrum solle als „sichtbares Zeichen“ auch an das Leid von mehr als 14 Millionen Deutschen erinnern, die ihre Heimat im Osten Europas nach dem Zweiten Weltkrieg verloren hätten. Ohne den Nationalsozialismus und seine Expansionspolitik wäre dies allerdings nicht geschehen, sagte die Kanzlerin. Die Dauerausstellung wird auch der Opfer des stalinistischen Terrors in der Sowjetunion gedenken.
Für das Zentrum lässt die vom Bund gegründete Stiftung „Flucht, Vertreibung, Versöhnung“ das Deutschlandhaus am Anhalter Bahnhof in der Nähe des Potsdamer Platzes bis 2016 für 33 Millionen Euro neu gestalten. Auf rund 3000 Quadratmetern entstehen in dem Bau auch Räume für Veranstaltungen sowie eine Bibliothek, eine Mediathek und ein „Raum der Stille“. Die Pläne stammen vom österreichischen Architekturbüro Marte.
Das Projekt war umstritten: Vor mehr als einem Jahrzehnt hatten der Bund der Vertriebenen (BdV) und ihre Präsidentin, die CDU-Bundestagsabgeordnete Erika Steinbach, ein eigenes „Zentrum gegen Vertreibungen“ ins Spiel gebracht. Das Zentrum sollte zunächst vor allem an das Schicksal jener Deutschen erinnern, die zwischen den letzten Kriegsmonaten bis in die fünfziger Jahre unter anderem aus Polen, Russland, der Tschechoslowakei und den baltischen Staaten in Richtung Westen geflüchtet oder aus ihrer Heimat ausgewiesen worden waren.
Vor allem in Polen und der Tschechischen Republik löste das Vorhaben Empörung aus. Politiker und Intellektuelle sahen das Projekt als Versuch an, die Deutschen als Opfer des Krieges darzustellen. Im Mittelpunkt der Kritik stand Frau Steinbach. Der Vertreibung der Deutschen waren der Eroberungsfeldzug der Wehrmacht in weiten Teilen Europas, die millionenfache Deportation von Juden, Polen und Russen in die Konzentrationslager sowie die Ausbeutung von Zwangsarbeitern vorausgegangen.
Die große Koalition einigte sich 2008 auf eine Stiftung, in der Vertreter von Parlament, Regierung, Kirchen und Wissenschaft das Konzept für die Ausstellung erarbeiten sollten. Damit sollte dem Vorwurf begegnet werden, Deutschland strebe eine Umdeutung der Geschichte an. Aus Protest gegen die BdV-Präsidentin, die zunächst dem Stiftungsrat angehören sollte, traten Historiker aus der Tschechischen Republik und Polen aus dem Beraterkreis aus. Schließlich verzichtete Frau Steinbach auf ihren Sitz, die Zahl der BdV-Mitglieder im Gremium wurde reduziert.
Kulturstaatsminister Bernd Neumann (CDU) sprach am Dienstag als Stiftungsvorsitzender von einem „schwierigen und dornenreichen“ Weg. Einige hätten über ihren Schatten springen müssen, sagte Angela Merkel in die Richtung von Erika Steinbach, die bei dem Festakt anwesend war. Das Leid einzelner Menschen dürfe nicht infrage gestellt werden, sagte die Kanzlerin. Ganze Kulturlandschaften, die über Jahrhunderte von Deutschen geprägt gewesen seien, hätten plötzlich der Vergangenheit angehört. Es sei ein Gebot der Redlichkeit und Menschlichkeit, auch an den Weg der deutschen Flüchtlinge zu erinnern.
Dokumentationszentrum zur Vertreibung
Das zentrale Kriterium
Kommentar von
Berthold Kohler
Auf ein Dokumentationszentrum zur Vertreibung, von dem sich Polen nicht provoziert fühlt, darf man wahrlich gespannt sein.
Das Dokumentationszentrum zur Vertreibung hat viele Jahre lang viele umgetrieben. Einigen, wie der Präsidentin der Vertriebenen, Steinbach, war es ein Anliegen, einen zentralen Ort zu schaffen, an dem der Vertreibung und ihrer Opfer gedacht wird. Andere, beileibe nicht nur Akteure aus dem Ausland, wollten eine solche Gedenkstätte um jeden Preis verhindern.
Wieder andere hegten die Hoffnung, das Projekt werde, da vom Sturm umtost, noch während der Planung einstürzen. Dazu wird es nicht mehr kommen, weil sich die Bundesregierung der Sache angenommen und sie in eine Form gegossen hat, von der sich, um das zentrale Kriterium zu nennen, Polen nicht provoziert fühlt. Das sei gelungen, sagt Kulturstaatsminister Neumann.
Ob sich, wie er meint, auch die Vertriebenen in einem Museum „wiederfinden“ werden, das besondere Rücksicht auf die Befindlichkeiten von Ländern zu nehmen hat, aus denen sie vertrieben wurden, muss sich erst noch zeigen. Die Politik aber wird sich in dieser Stätte in jedem Fall wiedererkennen: 19 von 21 Mitgliedern des Stiftungsrats werden vom Bundestag gewählt.
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