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Beflissenheit trübt den Blick Die Baumaßnahmen für das Dokumentationszentrum der Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung (SFVV) im Berliner Deutschlandhaus haben begonnen. Kurz zuvor hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel in einer Ansprache im Deutschlandhaus die Bedeutung des Projekts noch einmal unterstrichen. Alle warten auf die Bundeskanzlerin. Im Erdgeschoss des Deutschlandhauses steht auf einem Podest ein weißes Modell des geplanten neuen Dokumentationszentrums. Davor haben sich viele Kameraleute und Fotografen postiert. Der Direktor der Stiftung, Professor Manfred Kittel, Kulturstaatsminister Bernd Neumann, Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse und Erika Steinbach, Präsidentin des Bundes der Vertriebenen (BdV), stehen als Empfangskomitee bereit. Steinbach, ohne die es das künftige Dokumentationszentrum nicht gäbe, wird später keine Ansprache halten, sondern nur Neumann und die Bundeskanzlerin. Vielleicht ist dies dem Umstand geschuldet, dass Steinbach dem Stiftungsrat nicht angehört; dies hat unter anderen Thierse verhindert. In einer Pressemitteilung anlässlich des Termins im Deutschlandhaus hatte Steinbach vorab erklärt: „Es ist gut, dass heute mit dem Bundestagsvizepräsidenten Wolfgang Thierse die SPD im Stiftungsrat kompetent vertreten ist.“ Das kann wohl unter Diplomatie verbucht werden. Als die Bundeskanzlerin kommt, stehen alle einträchtig um das Modell herum; allerdings nicht Steinbach neben Thierse. Als dieser sich noch letzten Dezember mit Steinbach bei der Vorstellung der Studie über die NS-Belastung des ersten BdV-Präsidiums heftig über die Besetzung des Stiftungsrates stritt, saßen beide auch weit auseinander. Die Bundeskanzlerin kommt fast pünktlich. Direktor Kittel erläutert anhand des Modells architektonische Einzelheiten. Die Fotografen bekommen genug Zeit, schließlich ist längst Wahlkampf, schöne Bilder und Berichte sind immer gut, außerdem handelt es sich bei den Vertriebenen um eine mutmaßliche Wählerklientel der Union. Draußen hängt sogar an einer Wand des Deutschlandhauses ein jetzt noch verhülltes Großplakat mit einer Bildszene von der Vertreibung, das später enthüllt wird, als handele es sich um ein Denkmal oder verborgenes Präsent. Für Merkel ist eigens ein Podest auf dem Bürgersteig der Anhalterstraße aufgebaut, damit sie besser sehen und gesehen werden kann. Dass aus Sicherheitsgründen ganze Teile der Anhalter- und Stresemannstraße abgesperrt sind, quittieren einige Passanten allerdings mit heftigen Unmutsäußerungen. In ihrer Ansprache in einem nicht sehr großen Saal im ersten Stock des Gebäudes erinnert Merkel daran, wie beschwerlich der Weg zur Durchsetzung des Projektes war. Auch sie sei sich „nicht jeden Tag sicher“ gewesen, dass es gelingt: „Der Gegenwind war stark. Hoch schlug die Welle der Emotionen. Schwerwiegend schienen manche Einwände zu sein.“ Jetzt habe man eine „breite gemeinsame Einigung“ gefunden. Ausdrücklich dankte die Bundeskanzlerin Erika Steinbach. Diese habe vor vielen Jahren gemeinsam mit dem 2005 verstorbenen Peter Glotz den Anstoß für einen zentralen Dokumentations- und Erinnerungsort gegeben und das Projekt seitdem beharrlich verfolgt. Mit dessen Realisierung werde eine Leerstelle in der Museums- und Erinnerungslandschaft Deutschlands ge-schlossen. Debatten über das Thema Vertreibungen werde es auch künftig geben, und es müsse sie auch geben; das sei geradezu Sinn und Zweck des Deutschland-hauses. Für diese Debatten könne das neue Dokumentations- und Informationszentrum Standards setzen. Flucht und Vertreibung bedeuteten großes Leid und schweres Unrecht, so die Kanzlerin. Dabei dürfe nie vergessen werden, dass Flucht und Vertreibung von bis zu 14 Millionen Deutschen „ohne den Nationalsozialismus nicht geschehen wären. Deutschland hatte Europa mit Krieg und Vernichtung, schier unvorstellbarer Gewalt und dem Zivilisationsbruch der Shoah ü̈berzogen.“ Warum es eine Vertreibung nur im Osten und nicht auch im Westen gab, berührt die Kanzlerin mit keiner Silbe. Namen wie Josef Stalin, Boleslav Bierut, Edvard Benesch oder gar Winston Churchill und Franklin D. Roosevelt kommen in der vom Blatt abgelesenen Rede Merkels selbstredend nicht vor. In dem vor ihrer Ansprache gezeigten Kurzfilm, in dem sich die SFVV präsentierte, hieß es, 14 Millionen Deutsche seien gezwungen gewesen, „ihre Heimat im östlichen Europa zu verlassen“. Solche ungenauen Aussagen leisten der historischen Unkenntnis zumal der jüngeren Generation Vorschub. Millionen Deutsche wurden aus Deutschland vertrieben, und dieses lag nie im „östlichen Europa“, sondern stets in dessen Mitte. Wie eine Mitarbeiterin der SFVV gegenüber der PAZ erklärte, ist mit einer Eröffnung des Zentrums erst im Jahr 2016 zu rechnen. Die Stiftung hat die neue und attraktive Website www.sfvv.de.
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