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Dr. Danuta Berlińska: Mit Dr. Danuta Berlińska von der Oppelner Universität und dem Schlesischen Institut Oppeln sprach Krzysztof Świerc über die Ergebnisse der Volkszählung 2011 und ihre Bedeutung für die deutsche Minderheit. Wenn die deutsche Minderheit in den zehn Jahren seit der Volkszählung 2002 rund 50.000 Menschen verloren hat – also Eindrittel des Bestandes vor zehn Jahren – dann droht der Minderheit doch innerhalb der nächsten 20 Jahre quasi die „Vernichtung“! Eine erschreckende Vision. Ist es denkbar, dass sich die Schrumpfung weiter fortsetzen wird, so dass auch die laut Volkszählung 2011 jetzt noch knapp über 100.000 „Noch“-Deutschen eines Tages ganz verschwunden sind? Dass die deutsche Minderheit ganz verschwindet, glaube ich nicht, aber ich kann mir vorstellen, dass sie sich eines Tages in einen „Kulturdeutschen Verein“ verwandelt. Ich entschuldige mich für diesen Ausdruck, aber ich sehe das nun mal so. Es wären dann solche Menschen, die aus Überzeugung und einer tiefen Verwurzelung in der deutschen Kultur heraus ihre deutsche Identität und ihre Heimatidentität aufrechterhalten. Das ist allerdings das Negativszenario, das meines Erachtens nicht unbedingt kommen muss. Außerdem können wir ohne detaillierte Recherchen nur sagen, dass bei der Volkszählung 2011 nun weniger Menschen Deutsch als ihre Nationalität angegeben haben. Ob es aber tatsächlich weniger geworden sind, bin ich mir nicht sicher. Ist es aber nicht etwa so, dass die Minderheit, um eine starke und dynamische Organisation zu sein, ein Ringen um ihre Rechte braucht? Einen Gegner, ja einen Feind, um gebrandmarkt zu werden und sich unsicher zu fühlen. Wenn sie einigermaßen satt ist, verliert sie ihre Wachsamkeit und dann kann es problematisch werden. Wir sollten uns doch nicht täuschen: In Polen hat noch bei weitem nicht jeder die Deutschen mit ihren Vor- und Nachteilen und ihrer Geschichte akzeptiert. Das stimmt und bezieht sich übrigens auf alle nationalen Minderheiten. Sobald diese ihre vollen Rechte erhalten und sich nicht mehr diskriminiert fühlen, schwindet ihre politische Mobilität. Diese kommt am stärksten eben dann zum Ausdruck, wenn eine Gruppe sich benachteiligt sieht, weil ihre Erwartungen missachtet werden. Im Falle der deutschen Minderheit ist dem aber nicht so! So sitzen die Deutschen in der Woiwodschaft Oppeln überall an den Hebeln der Macht. Wenn es also sogar zu Spannungen kommt - denn es gibt ja noch immer Menschen mit antideutschen bzw. antipolnischen Ressentiments, die auch öffentlich in verschiedenen Situationen in Erscheinung treten - , so sind es dennoch keine allzu scharfen Auseinandersetzungen. Man kann also ganz allgemein sagen, die deutsche Minderheit hat ganz passable Bedingungen, und das lullt sie ein wenig ein. Auch beim Thema deutsches Schulwesen haben sich die Deutschen offenbar einlullen lassen. Da stimme ich Ihnen zu. Über so viele Jahre hinweg ist in der Oppelner Woiwodschaft kein einziges Lyzeum mit Deutsch als Unterrichtssprache entstanden. Ich persönlich befürworte eher bilinguale Schulen, da diese sprachliche Auswahlmöglichkeiten bieten. Es gibt aber nur wenige solcher Schulen, eine in Solarnia, eine in Rosenberg, dazu kommen hier und da zweisprachige Schulklassen. Es stimmt aber andererseits, dass es kein so großes Interesse von Eltern gegeben hat, da diese befürchteten, dass ihre Kinder sich mit zweisprachigem Lernen schwertun würden. Man begnügte sich also meistens mit einigen muttersprachlichen Deutschstunden pro Woche. Ich weiß, dass die Minderheit sich derzeit stark macht, dieses Denken zu verändern, und zeigt nach Kräften auf die Vorteile zweisprachigen Lernens, wobei sie die modernsten Methoden nutzt. Viele Familien konnten so mittlerweile auch erreicht werden, aber doch nicht so viele wie erwartet und nötig. Deshalb sollte das Deutschlernen auch über mehr mediale Aktivität gefördert werden. Was hat sich noch nach Ihrer Einschätzung auf das zumal im Rückblick auf das Jahr 2002 unerwartet schlechte Volkszählungsergebnis der Minderheit ausgewirkt? Es sind gleich mehrere Faktoren im Spiel gewesen. Zum einen ist die älteste Generation in den letzten zehn Jahren sehr geschrumpft, und diese ist es ja, die am stärksten mit Deutschland identifiziert ist. Ein weiterer, meines Erachtens äußerst wichtiger Faktor ist, dass wir es noch immer mit der Migrationen junger Menschen zu tun haben. Jugendliche aus der Minderheit haben hierzu ein Vorbild, das in der bereits seit Mitte des 19. Jahrhunderts bestehenden Migrationskultur wurzelt. Das ist ein ernsthaftes Problem. Schon um die Mitte des 19. Jahrhunderts und in der Zwischenkriegszeit haben viele junge Oberschlesier immer wieder, wenn sie keine Arbeit in der Region hatten oder aber diese schlecht bezahlt war, ihre Siebensachen gepackt und sind Richtung Westen gezogen. Dieses Modell hat sich stark in die Kultur der Region „hineingebissen“ und bleibt bis heute aktuell. Jetzt sind es sehr häufig Abgänger von Ober- bzw. Berufsschulen, die ihre Siebensachen packen und nach Deutschland oder in die Niederlande ziehen. Rein physisch fehlen sie dann also in der Region, und auch das hat die Volkszählungsergebnisse ganz wesentlich beeinflusst. Wie kann man dem vorbeugen und was ist zu tun, damit junge Leute in der Region bleiben und sich hier ihre Zukunft erarbeiten, ja dass sie der Deutschen Minderheit mit ihrer Stärke, Gegenwart und Zukunft zur Verfügung stehen? Um die Denkweise zu verändern, müsste man bereits auf dem Grundschulniveau auf die schlesischen Kinder und ihre Eltern einwirken. Die Politik müsste für Aufklärung darüber sorgen, dass Kinder aus der Minderheit in erster Linie eine richtige Ausbildung erlangen und teilweise auch studieren sollten, anstatt sich gleich nach der Berufs- oder Oberschule als Arbeiter im Ausland zu verdingen, ohne nennenswerte Qualifikation, geschweige denn Erfahrung. Ich habe Studenten aus der Minderheit, die nach ihrem Abschluss viel bessere Anstellungschancen haben werden, ob in Polen oder in Deutschland, und zwar nicht als Arbeiter oder schlecht bezahlte Kräfte. Einer meiner früheren Studenten ist auch schon diesen Weg gegangen und ist heute an einem bekannten Berliner Institut angestellt. Das geht also doch, bloß muss man seine Mentalität und seine Gewohnheiten hinterfragen. Dazu wären Treffen mit Eltern sinnvoll, um diese zu überzeugen, dass Bildung - und gerade auch der Besuch einer Hochschule - für ihre Kinder der beste Weg zum Erfolg ist. So haben sie dann mehr Möglichkeiten im Leben und die Minderheit bekommt eine größere und stärkere Wählerschaft. Übrigens ist das bisher für die meisten Angehörigen der Minderheit gewohnte Denken inzwischen im Wandel begriffen, nur geht dieser noch viel zu langsam vonstatten. Das Interview in voller Länge lesen Sie in Wochenblatt Nr. 13 (1043).
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