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Stettin - Szczecin 1945-1946 Dokumente - ErinnerungenDie Übernahme der Verwaltung durch Polen am 5. Juli 1945Auszüge aus den Erinnerungen des Stadtpräsidenten Stettins Piotr ZarembaÜber den gesamten Vormittag des 5. Juli hinweg wurde in allen unseren Abteilungen, die sich aufgrund des von mir am vorangegangenen Tag in Berlin ausgearbeiteten Aktionsplanes auf die Übernahme der Stadt vorbereiteten, fieberhaft gearbeitet. Am frühen Morgen machten wir eine Rundfahrt durch die Innenstadt und einige Vororte, ohne jedoch eine der zahlreichen deutschen Behörden aufzusuchen. Die Nachricht von unserem Erfolg mußte die Stadt erreicht haben, da sich an vielen Häusern die polnische Flagge befand. Es gab an diesem Tag keine Boote mehr, die Deutsche über die Oder nach Stettin gebracht hätten. Später stellte sich heraus, daß sie wegen der vorgesehenen Möglichkeit der Übernahme Stettins durch die Polen von den deutschen Kreisbehörden in Pölitz, das sich damals noch nicht im Bereich des von uns umfaßten Gebietes befand, entladen wurden. Um 9.00 Uhr berief ich eine Versammlung aller Mitarbeiter in denselben Saal ein, in dem wir am 30. April einen weißen Adler über das Bismarckportrait gehängt hatten. In meinem Tagebuch notierte ich: "Zum dritten Male (aller guten Dinge sind drei) wird in diesem Saal die polnische Verwaltung der Stadt Stettin einberufen". Ich besuchte einige wenige polnische Institutionen, die in Stettin ausgeharrt hatten: die Feuerwehr in der ulica Grodzka [Mönchenstr.] und den Etappenpunkt der Staatlichen Repatriierungsbehörde in der ulica Malopolska [Augustastraße]. Eine Zunahme des Stroms von Ansiedlern nach Stettin wird einen radikalen Ausbau der Essenausgaben, der Übernachtungshäuser sowie der Sanitätsstellen erfordern, die wir von Anfang an aus eigenen Kräften schaffen müssen. Ich stellte fest, daß unsere zwei Essenausgaben gut funktionierten: in den Notizen dieses Tages lese ich eine charakteristische Eintragung: "Ich esse an diesem Tag zwei Mittagessen in Stettin". Vor 12.00 Uhr erhalten wir aus der Militärkommandantur die gestern angekündigten Organisationspläne der deutschen Stadtverwaltung, die bis zu achtzehn Abteilungen umfassen. [...] Pünktlich um 6.00 Uhr nachmittags fuhren wir an dem Gebäude an der Jasne Blonia [Quistorp Aue] vor, wo uns General Fedotow mit seinem Stab erwartete. Im ehemaligen Bibliothekssaal im zweiten Stock des Hauptflügels des Gebäudes war ein langer Tisch vorbereitet. An seiner einen Seite erwartete uns die Leitung der deutschen Stadtverwaltung mit dem Bürgermeister an der Spitze. Wir nahmen an der anderen Seite Platz, während General Fedotow sich mit dem Dolmetscher an das Ende des Tisches stellte. Wir waren sechzehn Personen, darunter zwei Vizepräsidenten, Franciszek Jamrozy und Alfons Karczmarek, der 1. Sekretär des Stadtkomitees der PPR [Polnische Arbeiterpartei] Edmund Czyz sowie zwölf von mir benannte Leiter der städtischen Abteilungen. Stehend teilte General Fedotow den Anwesenden die Entscheidung mit, die Stettin den Polen zuerkennt, sowie den Befehl zur Auflösung der deutschen Abteilung der Stadtverwaltung. Er stellte fest, daß in diesem Augenblick die Verwaltungsmacht in der Stadt völlig in polnische Hände übergeht. Nach der Übersetzung eines Teils der Entscheidung ins Deutsche ergriff ich in russischer Sprache das Wort und bat General Fedotow, der russischen Regierung unseren Dank für die Entscheidung sowie der Roten Armee für die Polen und dem polnischen Stettin erteilte Hilfe zu übermitteln. Unmittelbar danach wandte ich mich in Deutsch an die uns gegenüber sitzenden Deutschen und gab ihnen als Termin für die Übergabe der Abteilungen den morgigen Tag, 8.00 Uhr, an. Gleichzeitig las ich die Namen der polnischen Abteilungsleiter vor, die die einzelnen Abteilungen der Stadtverwaltung von ihnen übernehmen würden. Ich kündigte an, daß ein bestimmter Teil von deutschen Fachkräften weiter arbeiten könnte, wenn sie guten Willen zeigen und daß nach der Anordnung von Marschall Shukow die Personen, die die ehemalige deutsche Stadtverwaltung leiteten, Stettin verlassen müssen. Zum Schluß dankte ich meinen Mitarbeitern auf Polnisch für ihre Mühe und Ausdauer und verlas den Inhalt des Berichtes, den ich in ihrem und meinem Namen an die Regierung der Nationalen Einheit schicken würde. Wir standen schweigend auf und verließen den Saal, um noch ein letztes freundschaftliches Gespräch mit Fedotow zu führen, der am nächsten Tag aus Stettin abreisen wollte, um das Amt des Kommandanten des Besatzungsbezirks in Potsdam zu übernehmen. Am späten Abend besetzte die Volksmiliz alle Hauptgebäude, in denen sich Abteilungen der deutschen Stadtverwaltung befanden. Das betraf vor allem das Gebäude in der ulica Jednosci Narodowej 37 / Ecke ulica Mazurska [Kaiser-Wilhelm-Straße, Ecke Preußische Straße], wo sich das deutsche Rathaus befand, sowie das Mietshaus am plac Grunwaldzki, Ecke ulica Slaska [Kaiser-Wilhelm-Platz, Ecke König-Albert-Straße], wo sich die deutsche technische Abteilung befand. Vizepräsident Jamrozy übernahm noch an diesem Tag das Kommando über die deutsche Feuerwehr. Das geschah in aller Ruhe. Als wir zu unserem Gebäude an den Waly Chrobrego [Hakenterrasse] zurückgekehrt waren, erwartete uns eine jubelnde Menge Stettiner Polen voller Freude. Bei einbrechender Dunkelheit belebte sich das riesige Gebäude, weil die einzelnen Abteilungsleiter im Licht von Petroleumlampen und Kerzen mit der Zusammenstellung der Freiwilligen für ihre Arbeitsgruppen, die am nächsten Tag die deutschen Behörden zu übernehmen hatten, begannen. Die Militärkommandantur hatte der Leitung der ehemaligen deutschen Verwaltung die Ausreise aus Stettin nach Rostock zu erleichtern. Die übrigen deutschen Beamten konnten dagegen zur Zeit unter der polnischen Verwaltung weiterarbeiten. Es war schon deutlich nach Mitternacht, als ich mit Jamrozy alle Arbeitsgruppen durchgegangen war und ihren Arbeitsplänen zugestimmt hatte. Als ich das in Eile auf der Maschine getippte Protokoll der Übernahme der gesamten Stadt Stettin durch die polnische Stadtverwaltung unterschrieb, wurde mir bewußt, welchen Inhalt dieses Papier besaß. Aus dem Protokoll ergab sich, daß wir die Stadt in dem Zustand übernehmen, in dem sie sich befindet - durch diese Feststellung wurden die Ergebnisse des tausendjährigen deutschen Drangs nach Osten beseitigt. Im Protokoll wurden die Namen der polnischen Abteilungsleiter, die am nächsten Tag die einzelnen deutschen Behörden übernehmen sollten, erwähnt. . . . Wir waren also bereit, unsere Tätigkeit in Stettin zum dritten Mal zu beginnen. Keine Inventur, wir übernahmen Stettin so wie es war. Am 5. Juli 1945 endete das am 28. April begonnene, achtundsechzig Tage dauernde Stettiner Provisorium.
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