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Berichte zum
Deutschlandtreffen der Ostpreußen

−  Ostpreußen hat Zukunft  −

Messe Kassel - 17. und 18. Mai 2014


Dr. Wolfgang Thüne

Laudatio aus Anlass der Verleihung des Gierschke-Dornburg-Preises an Herrn Dr. Christian Tilitzki

Bedeutende universitätsgeschichtliche Werke sind in der Vergangenheit vielfach durch Jubiläen angeregt worden. Königsberg war da keine Ausnahme. So ist das bisher grundlegende Werk für die ersten beiden Jahrhunderte der Albertina anlässlich des 200 jährigen Jubiläums im Jahre 1744 durch einen damaligen Universitätsprofessor, den Theologen Daniel Heinrich Arnoldt, geschrieben worden. Es folgten weitere Jubiläumsveröffentlichungen 1894 durch Hans Prutz und 1944 durch Götz von Selle.

Das hier vorzustellende Werk ist dagegen aus den langjährigen wissenschaftsgeschichtlichen Bemühungen seines Verfassers, Christian Tilitzki, erwachsen. Dieser weist in seinem einleitenden Abriss zur Forschungslage hin, dass die neueren Geschichten der Universitäten des historischen deutschen Ostens besonders schlecht in der wissenschaftlichen Landschaft dastehen. Dies gilt auch für die Albertus-Universität in Königsberg, die wissenschaftlich in den letzten Jahrzehnten nur im Disput über die deutsche Ostforschung in der NS-Ära Beachtung gefunden hat. Die Verengung auf die Zeit zwischen 1933 und 1945 hat dazu geführt, dass über die Universitätsgeschichte des Kaiserreiches und der Weimarer Republik ein dunkler Schleier liegt. Diese sich auftuende große Forschungslücke soll mit einer zweibändigen, 1871 einsetzenden und bis zum Untergang der Albertina im Frühjahr 1945 führenden Universitätsgeschichte geschlossen werden, deren ersten, mehr als 800 Seiten umfassenden Band mit dem Titel „Die Albertus-Universität Königsberg. Ihre Geschichte von der Reichsgründung bis zum Untergang der Provinz Ostpreußen, Bd. 1: 1871-1918“  wir heute auszeichnen.

Das große Werk folgt zwei zentralen Fragestellungen, nämlich zum einen der Stellung und Entwicklung der Universität im politischen Leben ihrer Zeit, zum anderen – damit eng zusammenhängend – die Besetzung der Lehrstühle der vier Fakultäten und deren wissenschaftliche Leistungen. Das  Werk ist in zwei chronologische Hauptteile gegliedert, nämlich für die Friedensjahre bis 1914 und für die anschließende Zeit des Ersten Weltkriegs. Zunächst war die Einbettung der Universität in ihr ostpreußisches Umfeld und zugleich dessen Stellung innerhalb des preußischen Gesamtstaats sowie des werdenden Kaiserreichs darzustellen. Königsberg und Ostpreußen wurden von den Berliner Zentral-Behörden nicht nur wirtschaftlich, sondern auch kulturell als randständig behandelt.

Hinsichtlich Professorenlaufbahnen und studentischer Besucherfrequenz sei Königsberg als „Einstiegsuniversität“ im Vergleich zu den anderen deutschen Universitäten im unteren Drittel geblieben. Das liberale Ostpreußen wurde in der dargestellten Zeit zunehmend von konservativen Kräften beherrscht. Nur Königsberg selbst sei liberal geblieben, wo auch Ende des 19. Jahrhunderts die nationale „Bollwerksfunktion“ keine große Bedeutung gehabt habe. Inwieweit unter diesen Umständen die Albertina als geistiges Zentrum Ostpreußens einen eigenen Charakter entwickeln konnte, wird vom Verfasser in seiner Darstellung untersucht. Die Universitäten Preußens in dieser Zeit unterstanden der staatlichen Aufsicht des Kultus-ministeriums in Berlin sowie eines Kurators am Ort der Universität. Nur in Königsberg außer in Breslau wurde diese Aufgabe vom Oberpräsidenten im Nebenamt wahrgenommen, dem ein Kuratorialrat an die Seite gestellt wurde. In einem einleitenden Abschnitt wird dargelegt, wie diese ihre Aufgabe weitgehend aus einer konservativen Haltung heraus ausübten und auch die Berufungspolitik beeinflussten. Dass sie dabei in Gegensatz zu dem Berliner Hochschulreferenten Friedrich Althoff gerieten, wird im weiteren Verlauf an zahlreichen Einzelfällen wiederholt gezeigt.

Den größten Teil des Buches beansprucht die Geschichte der vier Fakultäten, dargeboten in der klassischen Reihenfolge Theologie, Jura, Medizin und Philosophie, letztere unterteilt in Geistes- und Staatswissenschaften sowie Natur- und Agrarwissenschaften. Der ganze Zeitraum wird in drei Zeitabschnitte gegliedert, so dass es möglich wurde, die politische Atmosphäre für die Jahrhundertwende im Zusammenhang zu charakterisieren. Innerhalb der einzelnen Fakultäten und Fächer wird das politische Kräftespiel um die Berufungen auf die einzelnen Lehrstühle, die Habilitationen und die dabei konfliktreichen Auseinandersetzungen in weltanschaulichen Fragen von Besetzung zu Besetzung im Einzelnen verfolgt. Der Verfasser war dabei um Vollständigkeit bei der Erfassung der betroffenen Personen bemüht. Dabei und nicht in einem besonderen Kapitel werden auch die institutionellen Veränderungen behandelt. Eine eigene Darstellung bekommt in den beiden Hauptab-schnitten die Staats- und die Universitätsbibliothek. Im Weltkriegskapitel werden neben den Fakultätsgeschichten mit ihren Lehrstuhlbesetzungen die politischen Begleitumstände und deren Wirkungen auf die Universität in besonderen Abschnitten behandelt. Das Buch macht immer wieder deutlich, in wie starkem Maße die Universität trotz ihrer Selbstverwaltung von den politischen Umständen ihrer jeweiligen Gegenwart abhängig war.

Das Ausmaß der vom Verfasser herangezogenen Quellen und Literatur wird nicht nur in den umfangreichen Fußnoten und Einzelnachweisen deutlich, sondern auch im Anhang. Dieser enthält zunächst in einem rund 160 Seiten langen „Catalogus Professorum“ Kurzbiographien sämtlicher in dem Werk behandelter Professoren mit ausführlichen Nachweisen. Das Quellen- und Literaturverzeichnis umfasst über 80 Seiten. Ein Königsberger Universitäts-archiv hat sich für die dargestellte Zeit leider nicht erhalten. Dennoch macht das Verzeichnis deutlich, dass der Verfasser in einem heute selbst von wissenschaftlichen Historikern allzu wenig geübten Maße Archivalien, vornehmlich des Geheimen Staatsarchivs Preußischer Kulturbesitz, Berlin, herangezogen hat. Eine Sammlung von Abbildungen, vornehmlich von Personen, sowie ein Personenregister runden dieses großartige Werk ab. Es bleibt zu hoffen, dass der als Manuskript schon weit fortgeschrittene Band 2 für die anschließende Zeit der Weimarer Republik und des Nationalsozialismus‘ in absehbarer Zeit veröffentlicht werden kann. Nach Jahrzehnten eines weitgehenden Stillstands der Forschung hat nunmehr die Universität Königsberg ein bedeutendes Werk vorzuweisen. Dank der herausragenden Forschungen von Christian Tilitzki wird die ostpreußische Alma Mater nach Erscheinen des zweiten Bandes zu den zu den am besten erforschten deutschen Hochschulen überhaupt zählen.  

Quelle:
Preußische Allgemeine Zeitung / Das Ostpreußenblatt Ausgabe 21/14, 24.05.2014

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